Piece of Cake

Piece of Cake:
von der fixen Idee über die Obsession zum Angelköder.


Am Anfang stand die Idee einen Boilie zu basteln, der die geschmacklichen Vorzüge eines Birdys, die Nährstoffverfügbarkeit eines Karpfenzuchtpellets und die Attraktoren eines Fischboilies vereint.
Die erste Mischung war relativ einfach:
ein klassischer Fischmix, mit Birdfood aufgepeppt und mit etwas Milchpulver und Sweetner versehen, bildete das Grundgerüst – aber die fertige Kugel war meilenweit von dem entfernt, was ich eigentlich haben wollte.
Also noch mal alles auf „0“!
Was will ich eigentlich? Und warum?
Ich will einen cremigen Birdfoodboilie – weil die Instant fangen und auch im kalten Wasser ihre Lockstoffe gut freigeben.
Ich will einen Boilie, der dem Karpfen als gute Nährstoffquelle dient und der mit der natürlichen Nahrung konkurrieren kann.
Ich will einen Boilie, der möglichst gezielt Karpfen anspricht.
Schnell war klar:
Wenn ich das „gute Zeug“ aus den unterschiedlichen Boilies einfach nur zusammen kippen würde, kommt nur undefinierbare Pampe dabei raus.
Wenn man rausfinden möchte, was denn nun eigentlich Karpfen „gut“ finden, also welche Attraktoren tatsächlich eine Wirkung haben, dann stößt man auf unendlich viele Aussagen, wovon sich allerdings nur sehr wenige verifizieren lassen.
Ein Beispiel:
Lebermehl/Leberextrakt ist unbestreitbar ein gewaltiger Attraktor. Aber auf die Frage nach dem „warum“ kriegt man kaum mal eine qualifizierte Antwort.
Ich musste das Pferd von hinten aufzäumen – und die beste Grundlage dafür sind Futterhersteller.
Nicht Boiliehersteller, versteht mich nicht falsch – ich meine die Hersteller von Karpfenzuchtpellets.
In diesem Segment geht es weniger darum, den Karpfen zu locken, als vielmehr darum ihn dazu zu verleiten, möglichst viel Nahrung in möglichst kurzer Zeit aufzunehmen – Stichwort „Zuwachsraten“.
Das geht nur, wenn die Pellets den Karpfen sehr gezielt ansprechen und ihm suggerieren, unbedingt fressen zu müssen.


Na, klingelts?
Wenn man sich die Etiketten mit den Inhaltsstoffen auf den Pelletsäcken anschaut, fällt sehr schnell auf, dass selbst bei den Premiumherstellern im Gegensatz zu z.B. Forellipellets NIE Fischmehl enthalten ist, wohl aber Fischöl.


Warum?
Am Ende blieb nicht viel mehr übrig, als mich mit meinem besten Kumpel, durch seitenweise Abhandlungen über Karpfenernährung und Karpfenzucht zu wälzen.
Grundlage hier war ein Vortrag von Robert Arlinghaus, der uns „auf den richtigen Weg“ brachte und auch diverse Arbeiten nannte, die „Lesenswert“ wären.
Dazu natürlich der „Loeb-Report“ und der inzwischen wohl legendäre Dreiteiler „wieso, weshalb, warum“.
Dinge, die wir lernen mussten:
Essentielle Aminosäuren


sind nicht bei allen Lebewesen gleich, es gibt Unterschiede welche Lebensform, welche Aminos selber synthetisieren kann und welche eben nicht.
Verwertbarkeit:
Um bestimmte Stoffe vollwertig aufschlüsseln zu können, müssen andere Stoffe in einem Mindestmaß vorhanden sein.

Gleiches ist nicht immer Gleich:
Pflanzliche Proteine werden vom Fisch schlechter verstoffwechselt als tierische.
Scheuchwirkung:
Es gibt Stoffe, die Karpfen durchaus abstoßend finden.
Wahrnehmung und Wahrnehmungsschwellen:
Fische nehmen Geschmack und Geruch nicht wie wir, getrennt auf, sondern als eine Kombination.
Und das nicht nur über die Riechgruben, sondern das olfaktorische System; dies ist ein chemischer Wahrnehmungssinn der „Geruch/Witterung“ und „Geschmack/direkte Wahrnehmung“ verbindet und dessen Nervenenden eben nicht nur in den Riechgruben, im Maul oder an der Barteln zu finden sind, sondern auf dem ganzen Körper.
Die Wahrnehmungsschwellen für unterschiedliche Aminosäuren sind im molaren Bereich angesiedelt – erreichen wir diese (im Wasser) nicht, wird dieser Stoff schlichtweg (auf Distanz) nicht wahr genommen.
Dosieren wir zu hoch, setzt bei einigen Stoffen eine Scheuchwirkung ein, die erst mit abnehmender Konzentration nachlässt.
Wir überprüften also viele der verschiedenen hochattraktiven Zutaten auf ihre Zusammensetzung, gerade im Bezug auf Aminosäuren, z.B. GLM und Lebermehl, verschiede Krustentiere, aber auch Fischmehle und am Ende sogar die Getreidemehle.


ALLE, die in Karpfenanglerkreisen als hochattraktive Zutat gelten, als Attraktor zugesetzt werden, haben einen Dreiklang aus 2 bestimmten Aminosäuren, kompatiblem Solut und dem entsprechendem Verhältnis zueinander.
Die Marschrichtung war also klar:
Ich musste einen Birdfoodboilie kreieren, der diesen Dreiklang möglichst nahe kommt, der zwischen 30 – 40% Protein mitbringt, wobei mindestens 4% dieses Proteins auf tierisches Protein entfallen muss.
So würde ein Verhältnis geschaffen, das es dem Karpfen ermöglicht, das pflanzliche Protein optimal zu verstoffwechseln.
Das wusste ich inzwischen dank einer freundlichen Email eines Pelletherstellers und aus einer weiteren durchforsteten Doktorarbeit.
Warum nicht einfach Karpfenzuchtpellets mahlen, mischen und zu einem Boilie verarbeiten?
Nun, diese Pellets stehen niemals in Konkurrenz zur natürlichen Nahrung, sondern werden in Aquakulturbetrieben eingesetzt, in denen die Fische bis zur „Kapazitätsgrenze“ des Gewässers besetzt sind.
Die Fische brauchen die Pellets weder suchen, noch steht großartig viel andere Nahrung zur Auswahl.
Entsprechend wenig Attraktoren müssen dort zugesetzt werden.
Stichwort Kosteneffizienz.
Dass dieser Lernprozess nicht von heute auf morgen stattfand und in einer Vielzahl von Testmischungen mündete, steht wohl außer Frage.


Diese Mischungen fingen mal mehr und mal weniger gut; 2 ließen sich gar nicht erst verarbeiten und einmal produzierte ich rund 40kg PopUps…


Nach einigen Fehlschlägen schuf ich ein Grundgerüst aus Kohlenhydraten (Getreiden), versetzte dieses mit Milchpulver und einem gelben Eifutter/Birdfood.
Was nicht nachgewiesenermaßen fressstimulierend oder anziehend auf Karpfen wirkt, ließ ich raus.
Alles zielte darauf ab, das Verhältnis zweier bestimmter Aminosäuren und eines kompatiblen Solutes beizubehalten und dabei die Menge der beiden Aminosäuren im Mix so weit hoch zu setzen, dass in den ersten Stunden nach dem Einwerfen ins Wasser nach Möglichkeit die Wahrnehmungsschwelle deutlich überschritten wird und die entsprechenden Aminosäuren durch die Unterströmungen in der Fläche und in der Wassersäule verteilt werden.
So würde der Boilie den Fernsinn der Fische ansprechen, wenn sie noch nicht am Platz sind, aber nicht überlagern und scheuchend/fresshemmend wirken, wenn sie schon unmittelbar auf dem Spod sind.
Die Essensglocke wird geläutet…


Eine weitere Aminosäure sollte so wenig wie nur eben möglich im Mix vorhanden sein – jedoch gänzlich fehlen durfte sie auch nicht, wirkt sie doch leider schon in sehr geringen Dosen fresshemmend, ist aber für den Karpfen essentiell.
Neben den Aminosäuren, die den Karpfen seine Nahrung wahrnehmen und erkennen lassen, gibt es noch die bzw. eine Karbonsäure(n). (Bild 3)


Ich werde jetzt nicht weiter darauf eingehen, was Karbonsäuren sind, das könnt ihr alles bei Wikipedia nachlesen. Aber eine Vielzahl davon ist im Wasser unterwegs und sie verändert bei ihrem Auftreten den pH-Wert des umgebenden Wassers minimal – mit zunehmender Distanz zur Quelle nimmt diese Veränderung natürlich ab.
Über den Fernsinn, die Wahrnehmung über die auf der Körperoberfläche verteilten Chemorezeptoren, macht dass die Quelle der pH-Wert Änderung für den Fisch auffindbar.
Diese eine spezielle Karbonsäure spricht aber nicht nur den Fernsinn der Fische an, sondern wirkt bei Direktkontakt (Aufnahme mit dem Maul) fressstimulierend.
Auf Schuppenkarpfen übrigens etwas mehr als auf Spiegler…


Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die Flavour-Auswahl und die Süße eingehen.
Im Laufe dieses Textes schrieb ich, dass ich „alles raus lassen“ wollte, was nicht nachweißlich anziehend auf Karpfen wirkt. Nun, es ist bislang nicht wissenschaftlich nachgewiesen, das Süße anziehend auf Karpfen wirkt, ABER: Egal mit wie vielen Stippfischern man spricht und aus der eigenen Erfahrung im Bereich des Stippens, es läuft immer auf dasselbe Ergebnis hinaus – wenn du „Süß“ fütterst, dann kommen die Karpfen.
Und beim Flavour kommen wir wieder auf die Karbonsäuren zurück – die wohl bekannteste unter Karpfenanglern ist Buttersäure – und der Effekt den Buttersäure auslöst, ist sehr ähnlich wie der oben beschriebene.
Leider musste ich feststellen, dass Buttersäure und hohe Milchpulveranteile nicht gut zusammen im Mix harmonieren.
Ananas-Geruch wird durch Veresterung von Buttersäure gewonnen und dieser Vorgang erzeugt nicht nur einen angenehmen Geruch, sondern nimmt ganz nebenbei der Buttersäure die „Schärfe“.
Karamell ist drin, weil ich den Geruch in der Kombination einfach geil finde – und nicht „noch einen“ Ananasboilie schaffen wollte.

Ich hoffe meine Zeilen haben euch nicht zu sehr gelangweilt und ihr könnt in etwa nachvollziehen, warum die Entwicklung des „Piece of Cake“ bis zu dem jetzigen Stand so lange gedauert hat.
Weiterhin hoffe ich, dass ihr Verständnis dafür habt, dass ich bei den Zutaten eher wage geblieben bin und keine Bezeichnungen genannte habe.
Natürlich wird dieser Boilie keine Fische fangen, wo keine sind – eine Wunderkugel ist es nicht.
Aber an der richtigen Stelle präsentiert, wird er schnell und kräftig vom Fisch wahrgenommen und als Nahrung erkannt. Der erste Schritt zum gefressen werden ist dann schon gemacht.
Der Fisch wird, wenn er den Boilie erst einmal aufgenommen hat, diesen als fressbare und vollwertige Nahrungsquelle erkennen und weiter fressen.
Ganz egal, ob ihr instant fischt oder lieber auf einem präpariertem Futterplatz.

An dieser Stelle rufe ich euch auf, das „Stück vom Kuchen“ mal zu probieren, ein wenig zu zerkauen.
Euch wird das Wasser im Mund zusammen laufen, doch euer Gehirn wird auf „Widerstand“ schalten, denn der Geschmack ist für uns eher ungewohnt.

Ich bin stolz wie Bolle, meine eigene Kreation jetzt fertigen lassen zu können und anderen zugänglich machen zu können.


Viel Spaß beim Probieren und Ausprobieren des „Piece of Cake“ und natürlich viel Erfolg damit.
Über euer Feedback zu dem Knödel freue ich mich sehr!

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