Wie so oft in den letzten Monaten sitze ich am Bahnhof und warte auf den Zug. Die wärmende Herbstsonne im Gesicht und elektronische Klänge auf meinen Ohren zaubern mir ein kleines Lächeln auf die Lippen. Gedanklich bei meinem bevorstehenden Semester, zwischen Bücherbestellungen und Studienverlaufsplänen, schweife ich immer wieder ab. Die letzte Woche am Wasser hat sich nachhaltig eingebrannt.
Es ist Anfang Oktober. Die letzten sechs Wochen verbrachte ich in Vollzeit damit, mein Taschengeld aufzubessern. An Angeln war kaum zu denken, zumal meine Freundin ebenfalls etwas von meiner kostbaren Zeit am Wochenende beanspruchte. Doch die letzte Arbeitswoche sollte kommen und somit die zwei letzten freien Wochen vor Studiumsbeginn.
Die erste Woche verbrachte ich bei bestem Wetter mit meiner Freundin an der holländischen Nordsee. Entspannt und vollgetankt mit frischer Seeluft konnte nun für eine letzte volle Woche am Wasser eines meiner Hausgewässer in Angriff genommen werden.
Bei dem See handelt es sich um einen alten, etwa 35ha großen und sehr strukturreichen Baggersee. Im Vorfeld landeten bereits einige Kilo Boilies und Partikel am Rande eines großen Plateaus. Ich vermutete die Fische aufgrund der recht hohen Wassertemperaturen zwischen 16 und 18°C im nicht allzu tiefen Wasser, doch ich hielt mir Optionen offen und konnte durch meine Fütterung verschiedene Tiefen abdecken. Ein Trugschluss, wie sich später herausstellen sollte. Die Fische waren einfach nicht da.
Die ersten Tage, lediglich unterbrochen von immer wieder beißenden Brassen, schob ich den Blank auf den in die Höhe geschossenen Luftdruck an die 1030hPa. Konstant sonniges Wetter, Windstille, ungewohnt warme Temperaturen – es war den Fischen nicht zu verdenken, dass die Mäuler verschlossen blieben. Diese Theorie untermauerte mein Kollege Mike, dem zwar in der vorherigen Woche eine Traumsession am selben Platz gelang, der jedoch in den zwei Nächten, die er mir Gesellschaft leistete, ebenfalls blankte.
Die nächsten zwei Tage hoffte ich auf den angekündigten Wetterwechsel, der im besten Fall den Stein ins Rollen bringen sollte. Doch außer einem nassen Hintern und weiteren Brassen ging ich nach wie vor leer aus. Langsam machte sich Verzweiflung breit. Es ist schon interessant, was solch ruhige Tage, alleine mitten in der Natur aus einem machen. Die Sinne waren geschärft. Auf mein Zelt prasselnde Blätter kamen mir vor wie Trommelschläge, bei jedem Windstoß schreckte ich hoch. Und Lethargie machte sich breit. Es war Zeit zu handeln, ich fühlte mich zunehmend unwohler mit meiner Situation.
Als Konsequenz wechselte ich Montag morgens den Seeteil. Frischer Wind und einzelne Sonnenstrahlen zwischen den Wolken kitzelten meine Nase während der Überfahrt und weckten meine Geister. Die Motivation war wieder zurück, voller Tatendrang errichtete ich schnell mein Lager und wand mich dann dem Wasser vor mir zu.
Dieser deutlich tiefere und ältere Teil des Gewässers war mir gänzlich unbekannt. In meiner Situation nicht das schlechteste, so konnte ich mich nicht von herrschenden Meinungen beeinflussen lassen und neu beginnen, unabhängig von Futter, bekannten Spots et cetera. Und während ich mich so über das Wasser treiben ließ, die Sicheln auf dem Echolot studierte und Strukturen mit dem Tastblei erahnte, rollte sich vor mir ein Karpfen aus dem Wasser. Die erste Rute stand somit schnell fest, eine tiefe Rinne zwischen der Uferkante rechts von mir und einem Plateau sollte mir den Erfolg bringen. In etwa 8m Tiefe ertastete ich den Übergang von hartem Plateausand zu weicherem Sediment. Genau hier sollte die Rute zum Liegen kommen. Ein paar Hände Almightys zwischen 16 und 24mm sollten als Futter reichen, von Brassen hatte ich genug.
Meine beiden anderen Ruten legte ich in ähnlicher Vorgehensweise ab, die eine an einem Plateau in 6m Tiefe und die andere oben auf einer Kante zwischen absterbendem Kraut in 3m Tiefe. Die letzten 48 Stunden konnten kommen.
Zufrieden mit meiner Platzwahl machte ich es mir nach kurzem Besuch von Philipp mit einem Dönerteller auf der Liege bequem. Die Nacht kam rasch und nach den Strapazen des Movens schlief ich schnell ein.
Nach einer ruhigen Nacht wachte ich mit leichten Kopfschmerzen auf, nach Kippe, Kaffee und dem darauf folgenden allmorgendlichen Ritual ging es mir jedoch schnell besser. Gestärkt mit zwei Brötchen, die mir Patrick freundlicherweise vor der Arbeit brachte, legte ich die Ruten erneut aus. Sie sollten bis zum Einpacken am nächsten Tag liegen bleiben. Nach der zu ruhigen Nacht kamen abermals Zweifel auf, gedanklich hatte ich mich mit einem Blank schon abgefunden.
Doch wie sollte es anders kommen, etwa um 14:00 Uhr riss mich ein brachialer Fullrun aus meinem Mittagsschlaf. Ich konnte es kaum glauben, die Rute in der Rinne verbeugte sich tief auf der Buzzerbar.
Euphorisch fuhr ich dem Fisch entgegen, glaubte ihn zweimal durch kurzzeitigen Kontaktverlust verloren. Doch als ich über dem Fisch ankam, ihn langsam aber stetig gen Oberfläche drillte und ihn letztendlich in meinen Keschermaschen einschloss, war ich nicht mehr zu bremsen. Die Last der letzten sechs blanken Tage fiel mit einem einzigen Freudenschrei von meinen Schultern. Mein Ziel war erreicht, ich war nicht mehr blank.
Schnell versorgte ich den Fisch und legte die Rute neu. Nach Feierabend kam Patrick zum Fotoshooting. Stolz hielt ich den 16,5kg schweren Kämpfer in die Festbrennweite.
Den weiteren Abend ließen wir zusammen mit einem Kollegen bei Kaffee bzw. Bier ausklingen. Dann wurde es Zeit für die Liege. Die letzte Nacht war gekommen.
Wie an allen Tagen zuvor, wachte ich ausgeschlafen und ohne nächtliche Unterbrechungen auf. Kaffee, Kippe, ihr kennt es ja. Dann wurde es langsam Zeit einzupacken. Nach und nach trug ich meine Sachen nach vorne, der Weg war nicht weit und ich wollte nicht alles dreifach anfassen, indem ich das Boot belade. Außerdem blieben mir so ein paar Minuten mehr, in denen ich auf einen Fisch hoffen konnte. Eine weise Entscheidung.
Gerade auf dem Rückweg, hörte ich einen Siren um Hilfe schreien. Nach einem kurzen Sprint stand ich samt Schuhen und Hose im knietiefen Wasser und nahm die Plateaurute auf. Schnell dem Fisch entgegen gefahren, hatte ich bald Kontrolle über den kleinen Racker und konnte ihn sicher abnetzen. Damit hatte ihn nun garnicht mehr gerechnet, die katastrophalen Vortage waren vergessen. Schnell die Kamera ausgepackt, durfte der 10kg schwere Schuppi nach einem Selbstauslöserfoto wieder schwimmen. Die Rute blieb draußen. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist.
Mittlerweile sitze ich im Zug. Der Alltag hat mich wieder und in nächster Zeit werden fast ausschließlich kurze Overnighter drin sein. Doch auch und vor allem diese Angelei übt ihren Reiz auf mich aus, will sie doch gut vorbereitet sein. Und so freue ich mich schon auf den Spätherbst und den hoffentlich nicht allzu langen Winter, wenn die Fische im schillernden Kleid auf mich warten.
Ihr lest von mir,
Lucas Deppe